Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und der Landesarbeitsgerichte (LAG) ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) das gewichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (AU). Um diesen Beweiswert zu erschüttern, muss der Arbeitgeber Umstände darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an der AU Anlass geben.
Nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-RL) liegt AU vor, wenn der Arbeitnehmer auf Grund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Dabei ist die konkrete aktuell ausgeübte Tätigkeit des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Dazu muss nach der AU-RL der Arzt den Arbeitnehmer befragen. AU liegt auch vor, wenn absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit unmittelbar eine AU entstehen kann.
Bei Zweifeln an einer AU-Bescheinigung kann der Arbeitgeber sowohl seinen Arbeitnehmer, als auch den behandelnden Arzt um Stellungnahme bitten, ob die AU-Bescheinigung in Einklang mit der AU-RL ausgestellt wurde. Eine Entbindung des Arztes von seiner ärztlichen Schweigepflicht ist zur Beantwortung dieser Anfrage nicht erforderlich, weil der Arzt keine Auskunft über den Inhalt der Erkrankung des Arbeitnehmers geben soll, sondern nur über sein Vorgehen bei der Feststellung der AU. Weigert sich der Arzt, diese Auskunft zu geben, ist das ein Indiz dafür, dass er die Prüfung der AU nicht ordnungsgemäß vorgenommen hat. In diesem Fall kann der Arbeitgeber bei gesetzlich Versicherten die kassenärztliche Vereinigung informieren, die sich dann mit dem Arzt in Verbindung setzen wird.
Seit der Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung (eAU-Bescheinigung) zum 1. Januar 2023 hat der Arbeitgeber aber das Problem, dass in der eAU-Bescheinigung der Name des behandelnden Arztes nicht mehr enthalten ist.
Der Arbeitgeber kann bei berechtigten Zweifeln an der Krankheit des Arbeitnehmers auch von der Krankenkasse des Arbeitnehmers verlangen, dass diese eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse einholt. Berechtigte Gründe für die Zweifel an der AU liegen nach § 275 Abs. 1a SGB V vor, wenn
- der Arbeitnehmer häufig oder auffallend häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig ist,
- der Beginn der AU häufig auf einen Arbeitstag am Anfang oder Ende einer Woche fällt,
- die AU-Bescheinigung von einem Arzt ausgestellt wird, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten AU-Bescheinigungen auffällt.
Aber letzteres kann der Arbeitgeber aber seit der Einführung der eAU-Bescheinigung nicht mehr feststellen.
So weit, so gut, meine Erfahrung haben aber gezeigt, dass kein Arzt zugeben wird, dass er die AU nicht nach den Richtlinien der AU-RL ausgestellt hat und der Medizinische Dienst in den allermeisten Fällen feststellt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine AU vorlag. Das ist nachvollziehbar, denn in der Regel ist die AU vorbei, bis der Medizinische Dienst seine Begutachtung vornimmt.
Bei den AU-Bescheinigungen konnte bis Ende 2022 der Arbeitgeber bei häufigem Wechsel des Arztes, vor allem auch der Fachrichtung des Arztes, auf eine vorgeschobene AU des Arbeitnehmers schließen. Aber das ist, wie schon erwähnt, bei der eAU-Bescheinigung seit 1. Januar 2023 nicht mehr möglich.
Erfreulicherweise haben aber die Gerichte zuletzt die Position der Arbeitgeber deutlich gestärkt, indem sie bei bestimmten Fallkonstellationen den Beweiswert der AU-Bescheinigung als erschüttert ansehen.
Nach Auffassung des BAG (Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21) ist der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert, wenn ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis selbst kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die bescheinigte AU passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.
Das LAG Niedersachsen legt im Urteil vom 08.02.2023 (8 Sa 859/22) dar, dass auch eine postwendend nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geeignet sein kann, den Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern. Die Revision gegen dieses Urteil ist noch beim BAG anhängig. Das BAG hat auf den 13. Dezember 2023 terminiert. Wir werden berichten, wenn ein Urteil ergangen ist.
Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte auch in anderen Fallkonstellationen den Beweiswert der AU-Bescheinigung als erschüttert ansehen und damit die Rechte der Arbeitgeber stärken. Der redliche Arbeitnehmer hat dadurch keine Nachteile zu befürchten.